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Diabetes Teil 1 – die Prognose ist düster

Datum: 14.11.2023 Autor: Prof. Dr. rer. nat. Michaela Döll

Derzeit gibt es in Deutschland etwa acht Millionen Menschen, die an Diabetes mellitus erkrankt sind. Geschätzte zwei bis drei Millionen befinden sich in Diabetes-Vorstadien. Eine weitere, drastische Zunahme der Diabetes-Inzidenz ist prognostiziert. Die Behandlung der Krankheit und deren Folgeschäden ist ein immenser Belastungsfaktor für die Ausgaben im Gesundheitswesen. Diabetes ist die Hauptursache für eine Nierenersatztherapie und die häufigste Ursache für Neuerblindungen: Pro Jahr verlieren 3000 Diabetiker ihr Augenlicht. Jeder dritte bis vierte Diabetiker trägt ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung des diabetischen Fußes. So werden jährlich etwa 50 000 Fußamputationen vorgenommen. Durch eine gute Diabeteseinstellung kann der Progression diabetisch bedingter Folgeschäden entgegengewirkt werden. Auch die – in der Praxis häufig noch immer unterschätzte – adjuvante Gabe von Mikronährstoffen besitzt hier einen erheblichen Stellenwert.

Diabetische Begleit- und Folgeerscheinungen als Folge des erhöhten oxidativen Stresses

Diabetes mellitus geht, infolge weit verbreiteter metabolischer Zustände wie Hyperglykämien und Hyperlipidämien, mit einer vermehrten Produktion reaktiver Sauerstoffspezies (ROS) einher. Diese entstehen beim Abbau der Glucose in den Mitochondrien im Rahmen der Energiegewinnung. Damit induzieren rezidivierende und chronische Glykämien zwangsläufig eine verstärkte Radikalgeneration. Aber auch Ketoamine, die bei der Glykosilierung entstehen, sind leicht durch Sauerstoff oxidierbar und tragen zur Radikalbildung bei. Diabetes verursacht somit einen erhöhten oxidativen Stress, der zu endothelialen Dysfunktionen und zur Risikoerhöhung für kardiale Ereignisse beiträgt. Desweiteren kommt es durch die vermehrte Bildung der ROS zur Glykosylierung von Proteinen (AGEs = Advanced Glykosylation Endproducts), die mit entsprechenden Funktionseinbußen zellulärer Biomoleküle und der vorzeitigen Alterung von Geweben und Organen einhergeht. So können beispielsweise die Augenlinsenproteine von dieser „Verzuckerung“ betroffen sein, was mit einem erhöhten Risiko für Augenerkrankungen – wie es für Diabetiker typisch ist – (Retinopathien) assoziiert sein kann. Sind die Proteine der Basalmembranen in den Gefäßen vom erhöhten oxidativen Stress betroffen, ist der Stoffaustausch behindert, was beispielsweise eine unzureichende Energieversorgung des Nervengewebes mit der erhöhten Gefahr für Polyneuropathien zur Folge haben kann. Die Glykosilierung von Proteinen der Nierentubuli ist für die Pathogenese der Nephropathien von Bedeutung, die für bis zu 40% aller Dialysen in Deutschland verantwortlich ist.

Nutritive Antioxidantien (Vitamine C und E, alpha-Liponsäure, Selen, Zink) sind für den Diabetiker von besonderer Bedeutung. Der stoffwechselbedingte oxidative Stress hat die Erniedrigung des antioxidativen Schutzpotentials zur Folge – der Verbrauch an Radikalfängern ist erhöht. Die Vitamin-C-Plasmaspiegel liegen beispielsweise bei Diabetikern in der Regel um etwa 30% niedriger als bei Nichtdiabetikern. Klinische Studien belegen einen Benefit für Antioxidantien, der u. a. die Endothelfunktion, der Proteingykosilierung sowie die neuronale Funktion betrifft (Tabelle).

Mögliche protektive Effekte durch Antioxidantien bei Diabetes mellitus

  • Reduktion des oxidativen Stresses
  • Hemmung der Lipidperoxidation
  • Verminderung der Glykosilierung von Plasmaproteinen
  • Verminderung der Sorbitiolanreicherung
  • Hemmung der Thrombozytenaggregation
  • Protektion der endothelabhängigen Relaxation
  • Verbesserung der Glucoseverwertung
  • Besserung neuropathischer Symptome

Alpha-Liponsäure, L-Carnitin und Taurin besonders empfehlenswert

Eine besondere Bedeutung haben hier die antioxidativ wirksamen Substanzen alpha-Liponsäure, L-Carnitin und Taurin. Diese hocheffizienten Antioxidantien können dem erhöhten oxidativen Stress des Diabetikers und den dadurch bedingten diabetischen Begleiterscheinungen bzw. Folgeschäden entgegenwirken. Die alpha-Liponsäure fungiert als Coenzym in Multienzymkomplexen (Pyruvatdehydrogenase, alpha-Ketoglutaratdehydrogenase) in den Mitochondrien und ist damit im Wesentlichen an der Freisetzung von Energieäquivalenten (ATP, NADH) beteiligt. Der Schwerpunkt des Einsatzes von alpha-Liponsäure liegt bei den diabetischen Polyneuropathien. Dort stellt diese Substanz das bislang einzig begründbare Therapieprinzip dar. Durch die Gabe der alpha-Liponsäure kann die Glucoseverwertung verbessert und Hyperglykämien und Ketonämien, die ja letztlich auch die diabetische Polyneuropathie begünstigen, entgegengewirkt werden. Neurologische Symptome (Parästhesien, Kribbeln, Schmerzen, Sensibilitätsstörungen) können durch das Antioxidans verbessert und die diabetische Stoffwechsellage stabilisiert werden. Vorliegende Daten aus klinischen Studien belegen eine Steigerung des Nervenblutflusses, eine Verbesserung neurologischer Symptome (Parästhesien, Kribbeln, Schmerzen, Sensibilitätsstörungen) und einen günstigen Einfluss auf die vaskuläre Dysfunktion.

L-Carnitin ist als Rezeptormolekül für aktivierte Fettsäuren im Lipidstoffwechsel unverzichtbar und damit vor allem für den Herzmuskel, der seine Energie zu etwa 80% aus Fettsäuren gewinnt, von Bedeutung. Metabolische Störungen wie z. B. die für den Diabetiker typischen Ischämien führen zu einer Anhäufung langkettiger Fettsäuren im Zytosol und einer Störung des mitochondrialen Energiestoffwechsels. Die dadurch bedingte myokardiale ATP-Verknappung hat eine Verschlechterung der Herzleistung zur Folge. Auch die Glukoseoxidation ist in diesem Fall beeinträchtigt – als anaerobes Stoffwechselprodukt wird vermehrt Laktat freigesetzt. Die Gabe von L-Carnitin kann in diesen Fällen helfen die Fettverbrennung zu mobilisieren und die Laktatbildung im Herzmuskelgewebe zu verringern. Auch die neuroprotektive und neuroregenerative Wirkung von L-Carnitin ist hinsichtlich der häufig auftretenden neuropathischen Störungen von Interesse. L-Carnitin begünstigt die Bereitstellung des „nerve growth factor“, der u.a. auch für die Überlebensfähigkeit der Neuronen eine bedeutende Rolle spielt. In einer randomisierten, placebokontrollierten klinischen Studie wurde die Wirkung einer Kombination von Acetyl-L-Carnitin, alpha-Liponsäure, Vitamin B12 und Superoxiddismutase bei 85 Personen, die an Diabetes Typ 2 litten, geprüft. Zur Beurteilung kamen neuropathisch relevante Kriterien (Michigan Neuropathy Screening Instrument Questionnaire and Examination (MNSIQ and MNSIE) sowie u. a. auch die Überprüfung der Nervenleitgeschwindigkeit (sural nerve conduction velocity – SNCV) und des Schmerzempfindens zur Anwendung. Im Verlauf der 12-monatigen Studienphase ergaben sich für die Verumgruppe (n = 43) hinsichtlich der neuropathischen Indizes, des Schmerzempfindens und schließlich auch der Lebensqualität signifikante Verbesserungen.

Die schwefelhaltige, nichtproteinogene Aminosäure Taurin kommt im Zentralnervensystem und in der Retina (sowie in Lymphozyten) in erhöhter Konzentration vor, was bereits einen Hinweis auf die zell- bzw. organschützende Wirkung der antioxidativ wirksamen Substanz gibt. Taurin ist von Einfluss auf die neuronale Erregungsleitung und in der Retina an der Regulierung des osmotischen Drucks (mit)beteiligt. Desweiteren wirkt das Antioxidans kardioprotektiv und schützt die Herzmuskelzellen vor reperfusionsbedingten Zellschäden. Andererseits bedingen Hyperglykämien über die intrazelluläre Sorbitiol-Anreicherung eine Taurin-Verarmung, die wiederum die Entstehung diabetischer Spätkomplikationen mitbegünstigt. Daher sollte bei einem bestehenden Diabetes mellitus unbedingt auf eine ausreichende Versorgung mit dieser Aminosäure geachtet werden.


In unserem zweiten Teil der Blog-Reihe geben wir Dir weitere, spannende Einblicke zu folgenden Themen:

  • B-Vitamine – neurotrope Schutzfaktoren
  • Das Spurenelement Zink – unverzichtbar bei Diabetes
  • Mit Chrom und Magnesium gegen die Insulinresistenz

Teil 2


Literatur (Auswahl)

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