Regeneration oder die Balance für optimale Leistung und Gesundheit
Datum: 05.05.2025 Autor: Dr. Robert Percy Marshall

In diesem Blogbeitrag werden die verschiedenen Facetten der Superkompensation, der Hormesis und der endokrinen Funktion des Muskels beleuchtet und aufgezeigt, wie der salutogenetische Ansatz dazu beiträgt, die Regenerationsfähigkeit zu optimieren, um Verletzungen oder Krankheiten vorzubeugen. Um die Bedeutung der Regeneration für das Erreichen optimaler Leistungsfähigkeit und die Erhaltung der Gesundheit zu verstehen, müssen zunächst die physiologischen Grundlagen betrachtet werden.
Physiologische Grundlagen der Regeneration
Superkompensation beschreibt den biologischen Mechanismus, bei dem der Körper nach einer Belastung nicht nur auf das Ausgangsniveau zurückkehrt, sondern dieses kurzzeitig überschreitet, um für zukünftige Anforderungen besser vorbereitet zu sein. Dieser Prozess wird von der Belastung, der Erholungsphase und den nachfolgenden Trainingsreizen beeinflusst:
Nach einer intensiven Trainingseinheit oder einem Wettkampf steht der Körper unter Stress und es kommt zu mikroskopischen Schäden in den Muskelstrukturen. Diese Schädigung bildet die Grundlage für die Adaptation. In der anschließenden Erholungs-phase repariert der Körper diese Schäden und übertrifft dabei das ursprüngliche Leistungsniveau. Diese Phase, in der die Leistung über das Ausgangsniveau hinausgeht, wird als Superkompensation bezeichnet. Diese Phase ist allerdings zeitlich begrenzt. Wird der Körper zu früh oder zu intensiv wieder belastet, kann es zum Übertraining kommen.
Hormesis besagt, dass geringe Mengen eines belastenden Reizes im Körper eine positive Anpassung hervorrufen können. Dies bedeutet, dass kleine, kontrollierte Belastungen dem Körper helfen können, sich besser an Stresssituationen anzupassen:
So wie ein Muskel stärker wird, wenn er wiederholt durch Training beansprucht wird, so stärkt der Körper auch seine Widerstandskraft gegen andere Stressoren, wenn er mit ihnen in moderaten Dosen konfrontiert wird. In der richtigen Dosierung kann Hormesis also zu einer Leistungssteigerung führen, ohne dem Körper zu schaden. Entscheidend ist dabei, die Belastung richtig zu dosieren und dem Körper genügend Zeit zur Regeneration zu geben.
Salutogenese als Schlüssel zu mehr Resilienz
Der salutogenetische Ansatz geht davon aus, dass Gesundheit nicht nur durch die Abwesenheit von Krankheit definiert wird, sondern vor allem durch die Fähigkeit, mit belastenden Umständen und Stressfaktoren umzugehen. Für Sportlerinnen und Sportler bedeutet dies, dass sie ihre Regenerationsfähigkeit optimieren müssen, um eine gesunde und nachhaltige Leistungssteigerung zu gewährleisten.
Hormesis und Superkompensation sind in diesem Zusammenhang Erklärungsansätze für die natürlichen Anpassungsprozesse des Körpers an Belastungen. Der Weg zur Höchstleistung ist dabei nicht immer geradlinig. Die Gefahr des Übertrainings ist allgegenwärtig und erfordert ein feines Gespür für den eigenen Körper und seine Bedürfnisse. Im richtigen Maß und in der richtigen Dosierung kann Hormesis zu einer Leistungssteigerung führen, ohne dem Körper zu schaden. Entscheidend ist dabei jedoch, die Belastung richtig zu dosieren und dem Körper genügend Zeit zur Regeneration zu geben.
Übertraining entsteht, wenn Stress und Regeneration aus der Balance geraten.
Ein oft unterschätzter Aspekt der Regeneration ist die endokrine Funktion des Muskels. Muskeln sind nicht nur Bewegungsorgane, sondern übernehmen auch eine sekretorische Funktion, indem bestimmte Botenstoffe wie Myokine freisetzen werden. Diese spielen eine entscheidende Rolle in der Gesundheit-erhaltenden Funktion von körperlichem Training. Nach intensiven Trainingseinheiten kommt es zu Entzündungsreaktionen, die zur Reparatur und Anpassung notwendig sind. Diese Entzündungsreaktionen sind jedoch nur von kurzer Dauer und normalisieren sich in der Regel nach ca. 36 bis 48 Stunden wieder. Wird der Körper in dieser Phase zu früh wieder belastet, bevor der Entzündungs-prozess abgeschlossen ist, besteht die Gefahr einer chronischen Überlastung und damit einer Beeinträchtigung der Regenerationsfähigkeit.
Trotz der Vorteile von Superkompensation und Hormesis birgt der Trainingsprozess daher Risiken. Sind die Belastungen zu hoch oder die Regenerationszeiten zu kurz, besteht die Gefahr des Übertrainings. Dieses tritt auf, wenn der Körper nicht genügend Zeit hat, sich von der Belastung zu erholen und die regenerative Anpassung stattfindet. Übertraining kann zu physischen und psychischen Erschöpfungssymptomen wie Muskelschwäche, Schlafstörungen, verminderter Leistungsfähigkeit und erhöhtem Verletzungsrisiko führen.
Ein wichtiger Aspekt, der oft übersehen wird, ist die allostatische Belastung. Damit ist die kumulative Belastung des Körpers durch Stress gemeint, unabhängig davon, ob es sich um physischen oder psychischen Stress handelt. Physischer Stress durch Training oder Wettkampf kann durch psychischen Stress wie Arbeitsbelastung oder persönliche Sorgen verstärkt werden. Die Fähigkeit des Körpers, auf diese Mehrfachbelastung zu reagieren, hängt von der individuellen Belastungsgrenze ab. Wird diese überschritten, sinkt die Leistungs- und Regenerationsfähigkeit des Körpers.
Was gehört zu optimaler Regeneration?
Dies kann durch eine ausgewogene Kombination von intelligenter Belastung und optimierter Regeneration erreicht werden. Wesentliche Aspekte sind
- Angemessene Trainingsintensität: Ein gut dosiertes Training mit der richtigen Balance zwischen Belastung und Erholung ist der Schlüssel.
- Erholung und Regeneration: Ohne ausreichende Erholungsphasen kann der Körper die notwendigen Anpassungen nicht vornehmen, was zu Überlastungen und Verletzungen führt.
- Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung mit allen notwendigen Makro- und Mikronährstoffen ist für die Regeneration unerlässlich.
Ein viel diskutiertes Thema in der Trainingswissenschaft ist das sogenannte Open Window Phänomen. Unmittelbar nach einem intensiven Training oder Wettkampf ist der Körper besonders anfällig für negative Effekte, wie z.B. eine Schwächung des Immunsystems. Dieses sogenannte „Open Window“ beschreibt eine Phase, in der der Körper besonders anfällig für Infektionen ist, da das Immunsystem vorübergehend geschwächt ist. Die direkte Zufuhr von Kohlenhydraten nach dem Training kann diese negative Phase abpuffern und den Körper schneller wieder stabilisieren. Besonders wichtig ist auch die Zufuhr von Eiweiß, um Muskelabbau zu verhindern und Reparaturprozesse zu unterstützen.
Ein weiterer oft unterschätzter Faktor bei der Regeneration ist der Schlaf. Im Schlaf werden Wachstumshormone ausgeschüttet, die für die Gewebereparatur und die Muskelregeneration verantwortlich sind. Außerdem wird im Schlaf die Ausschüttung des Hormons Cortisol reguliert, das in großen Mengen entzündungsfördernd wirkt. Gute Schlafgewohnheiten sind daher für eine effektive Erholung und nachhaltige Leistungssteigerung unerlässlich.
Neben den grundlegenden Aspekten von Erholung, Ernährung und Schlaf gibt es eine Reihe von regenerativen Möglichkeiten, die Sportlerinnen und Sportler unterstützen können. Dazu gehören:
- Wechselbäder und Kältetherapie: Diese Methoden sind dafür bekannt, die Durchblutung zu fördern und Entzündungen zu reduzieren.
- Aktives Regenerieren: Lockeres Radfahren, Laufen oder Ausrollen nach intensivem Training entspannt die Muskulatur durch sanfte Bewegung und unterstützt den Abtransport von Stoffwechselschlacken.
Fazit
Die Suche nach der optimalen Trainingsintensität, der richtigen Regenerationszeit und der idealen Ernährung ist eine ständige Herausforderung für Sportlerinnen und Sportler. Die Konzepte der Superkompensation und der Hormesis geben dabei wertvolle Hinweise, wie der Körper auf Belastungen reagiert und sich anpasst. Aber auch die Gefahr des Übertrainings darf nicht unterschätzt werden. Die allostatische Belastung und die Auswirkungen psychischer Belastungen auf die körperliche Erholung zeigen, wie wichtig es ist, auf den eigenen Körper zu hören und eine Balance zwischen Belastung und Erholung zu finden. Letztlich geht es darum, die Regenerationsfähigkeit des Körpers so zu optimieren, dass der Weg zu Höchstleistungen gesund und nachhaltig bleibt.
Achten Sie dabei zunächst auf die Basics (angemessene Trainings-Intensität, Erholung & Regeneration und Ernährung), bevor Sie sich in komplizierten Verfahren verlieren.
Autor: Dr. Robert Percy Marshall
Dr. med. Percy Marshall ist Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin sowie Sportmedizin und besitzt einen Master-Abschluss in Mikronährstofftherapie und Regulationsmedizin. Sein Fokus liegt neben der klassischen Anatomie-geprägten Sportmedizin auf dem salutogenetischen-präventiven Ansatz. Sein ganzheitliches Behandlungsspektrum umfasst funktionelle sowie klassische Schul-Medizin, orthomolekulare, TCM- und osteopathische Ansätze. Seit 2018 ist er als erster hauptberuflicher Mannschaftsarzt im Medical Team von RasenBallsport Leipzig GmbH tätig. Als Mitbegründer des Instituts für Sport- und Bewegungsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf war er zuvor über 6 Jahre als stellvertretender Mannschaftsarzt der Bundesligamannschaft sowie medizinische Leitung des Nachwuchsleistungszentrums des Hamburger SV verantwortlich. Zudem war Dr. Marshall als Leitung des Bewegungslabors selbiges als präventives und rehabilitatives Screening-Instrument von Leistungssportlern etabliert.